Geschrieben von:
Jens Bebensee
Fachdienstleiter Bauaufsicht
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Hallo Frau/Herr Lindemann,
ich kann mir nicht genau erklären, wie Sie auf die 30%-Regelung gekommen sind.
Es gab „ganz früher“ (vor schätzungsweise rund 15 – 20 Jahren) einmal eine Rechtsprechung zur Erweiterung gewerblicher Betriebe im Außenbereich, bei der das OVG Lüneburg diese Prozentzahl zur Sprache gebracht hatte. Diese Entscheidung konnte ich aber „auf die Schnelle“ nicht finden.
Sie sollten sich von dem oder der zuständigen Sachbearbeiter/in der Bauaufsichtsbehörde beraten lassen, was jetzt zu tun wäre.
Mit freundlichem Gruß
Jens Bebensee
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Geschrieben von:
Jens Bebensee
Fachdienstleiter Bauaufsicht
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Hallo zusammen,
zwischenzeitlich habe ich „auf die Schnelle“ sechs Gerichtsentscheidungen gefunden, die sich mit der Angemessenheit einer Erweiterung eines gewerblichen Betriebes im Außenbereich befassen:
1.)
OVG Lüneburg (damals noch für Niedersachsen UND Schleswig-Holstein zuständig), Urt. v. 27.11.1981 – 6 A 38/80 – in BRS 38 Nr. 103:
Leitsatz:
1. Ob eine Betriebserweiterung im Außenbereich "angemessen" ist, richtet sich nicht nach den Gewinnchancen der Marktlage des Betriebszweiges, sondern nach dem Verhältnis von hinzutretendem und vorhandenem Baubestand
2. Ob eine solche Ergänzung "erforderlich" ist, läßt sich bei überschaubaren Betriebsabläufen ohne Sachverständigen feststellen.
Aus den Gründen:
„…Der Betrieb würde sich baulich um etwa 30% vergrößern. Diese Erweiterung liegt außerhalb des Rahmens, den § 35 Abs. 5 Nr. 5 BBauG mit dem Tatbestandsmerkmal „angemessen“ als Rahmen vorgibt…“
2.)
OVG Schleswig, Urt. v. 28.10.1991 – 1 L 70/91 – in Die Gemeinde 1992, 225:
Leitsatz:
1. Unangemessen i.S.d. § 35 Abs. 4 Nr. 6 BauGB ist ein sonstiges Vorhaben, wenn es nach seinem Verwendungszweck gerechtfertigt sein mag, nach seiner Gestaltung, Beschaffenheit oder Ausstattung aber nicht durch diesen Verwendungszweck erschöpfend geprägt wird.
2. § 35 Abs. 4 BauGB stellt eine Regelung des Inhalts und der Schranken des Eigentums i.S.v. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar und schließt einen unmittelbaren Rückgriff auf Art. 14 GG aus.
Aus den Gründen:
„…Im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude dürfte sich allerdings auch eine Verlängerung um 8,50 m noch im angemessenen Rahmen halten. Die Erweiterung in diesem Umfang würde nur 24 % der bestehenden Reithalle ausmachen. In der Rechtsprechung werden dagegen Erweiterungen im Umfang von 30 % der vorhandenen Bausubstanz noch als angemessen angesehen (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 22.11.1981 - 6 A 38/80 -, BRS 38 Nr. 103). Eine Erweiterung in diesem Umfang kann aber im Verhältnis zum Betrieb gleichwohl nicht mehr als angemessen angesehen werden. Denn für den Reithallenbetrieb hält der Senat unter dem Gesichtspunkt der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs vor nicht privilegierten Gebäuden allenfalls eine Verlängerung um 6 m für angemessen und vertretbar…“
3.)
OVG Schleswig, Urt. v. 10.12.1998 – 1 L 136/97 – in BRS 62 Nr. 115:
Leitsatz:
1. Die bauliche Erweiterung eines genehmigten Gewerbebetriebes im Außenbereich ist nicht von vornherein auf gewerblich genutzte Anlagen beschränkt, sondern kann auch Mitarbeiter- und Betriebsleiterwohnungen umfassen. Eine solche Wohnung ist zulässig, wenn sie dem Betrieb "dient"; maßgebend ist insoweit, ob ein vernünftiger Betriebsinhaber ein derartiges Vorhaben auch unter Berücksichtigung des Gebots größtmöglicher Schonung des Außenbereichs errichten würde (hier verneint für Mitarbeiterwohnung für ein Seniorenheim).
2. Die Erweiterung der Wohn- und Nutzfläche um fast 42% bzw. die Erweiterung eines Seniorenheims (mit zZ 19 Appartements) um 9 weitere Appartements ist nicht mehr angemessen i.S.d. § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 6 BauGB.
4.)
BayVGH, Urt. v. 29.03.1985 – 26 B 82 A.2195 – in BRS 44 Nr. 92:
Leitsatz:
Die Erweiterung eines nicht privilegierten gewerblichen Betriebs im Außenbereich ist nur dann unter den erleichterten Voraussetzungen des § 35 Abs. 5 Nr. 5 BBauG zulässig, wenn sowohl die Erweiterung überhaupt als auch die Nutzung, der der Erweiterungsbau dienen soll, notwendig sind, um die Fortführung des Betriebs zu sichern. Lediglich das räumliche Ausmaß einer in diesem Sinn notwendigen Erweiterung ist an Hand des - weniger strengen - Merkmals "angemessen" zu überprüfen.
Aus den Gründen:
„…Schließlich erscheint auch das Ausmaß der geplanten Erweiterung an und für sich angemessen…§ 35 Abs. 5 Nr. 5 BBauG begünstigt die Erweiterung eines Betriebs, nicht die eines Gebäudes. Im übrigen ist die Angemessenheit der Erweiterung nach dem Verhältnis zum vorhandenen Baubestand zu bemessen (ebenso OVG Lüneburg v. 27.11.1981, a. a. O.). Sie erlaubt…bauliche Maßnahmen, die über das hinausgehen, was kraft überwirkenden Bestandsschutzes ohnedies zulässig wäre…und bringt zum Ausdruck, dass sich nicht ein genau berechenbares Maß der Erweiterung festlegen lässt, dem Bauherrn mithin ein gewisser Spielraum hinsichtlich des Umfangs des Vorhabens bleibt und nicht jeder einzelne Quadratmeter auf seine Notwendigkeit überprüft werden darf. Das Vorhaben… genügt auch diesen Anforderungen. Es geht mit seiner räumlichen Erweiterung, die etwa ein Viertel des Bestandes ausmacht, zwar über die durch den Bestandsschutz gezogenen Grenzen hinaus, die nur untergeordnete Erweiterungen gestatten…kann aber keinesfalls als eine räumlich überzogene Betriebsausweitung beurteilt werden…“
5.)
VG Sigmaringen, Urt. v. 18.04.2002 – 2 K 1218/01 – in Juris:
Leitsatz:
Der Neubau einer Lagerhalle im Außenbereich stellt gegenüber dem bisherigen Betriebsgebäude eines Fischereiverarbeitungsbetriebs keine angemessene betriebliche Erweiterung i. S. d. § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 BauGB mehr dar, wenn die betriebliche Nutzfläche dadurch um 45,5% erweitert wird.
6.) VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 30.01.1991 – 3 S 1067/90 – in Juris:
Leitsatz:
1. Ein am Ortsrand im Außenbereich liegender (zweiter) Lagerplatz eines Steinmetzbetriebs, den die Baurechtsbehörde unwiderruflich duldet, ist regelmäßig weder wegen Zersiedlungsgefahr noch wegen der Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft unzulässig.
2. Ein solcher Platz kann jedenfalls nach § 35 Abs. 4 Nr. 6 BauGB zulässig sein. Die Anwendung dieser Vorschrift hängt nicht davon ab, daß die gesamten bestehenden Betriebsanlagen sich ebenfalls im Außenbereich befinden.
Aus den Gründen:
„…Der streitige Lagerplatz stellt schließlich im Verhältnis zum vorhandenen Betrieb noch eine sachlich wie räumlich "angemessene" Erweiterung dar (zum Angemessenheitsbegriff vgl. auch OVG Lüneburg, BRS 38 Nr.103). Sachlich soll der Platz -- obwohl auch dies von § 35 Abs. 4 Nr. 6 BauGB gedeckt sein kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.6.1990, Buchholz 406.11, Nr. 261 zu § 35 BauGB) -- keine Expansion des klägerischen Betriebes vorbereiten, sondern allein den aktuellen Bedarf an notwendiger Lagerfläche decken. Daß solcher Bedarf besteht, entnimmt der Senat der vom Kläger im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten schlüssigen und überzeugenden Stellungnahme des öffentlich bestellten Sachverständigen für das Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk vom 30.6.1983. Danach wird der Platz zusätzlich zu der vorhandenen Lagerfläche benötigt, um das Roh- und Fertigmaterial ohne Umsetzungsmaßnahmen ausreichend unterbringen zu können. An den tatsächlichen Grundlagen dieser auch vom Beklagten nicht in Frage gestellten Beurteilung hat sich ersichtlich bis heute nichts geändert. Auch in räumlicher Hinsicht wird die Angemessenheitsschwelle nicht überschritten. Der geplante Platz ist zwar etwas größer als der bereits vorhandene. Unter Einschluß der Betriebsgebäude und der gesamten Hof- und Zufahrtsfläche wird die Flächenzunahme aber nicht wesentlich über 30 % liegen. Ein solcher Zuwachs ist von § 35 Abs. 4 Nr. 6 BauGB jedenfalls noch gedeckt (zu den -- teilweise unterschiedlichen -- Prozentzahlen vgl. die Nachweise bei Grauvogel-Dürr a.a.O. RdNr. 158)...“
Mit freundlichen Grüßen
Jens Bebensee
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Geschrieben von:
Jens Bebensee
Fachdienstleiter Bauaufsicht
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Hallo miri,
im Kern geht es bei den Fragen von Herrn/Frau Lindemann und Ihnen wohl zunächst um den Bestandsschutz, der in den Bestimmungen des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 1, 2, 3, 5 und 6 BauGB mit den Worten „zulässigerweise errichtet“ umschrieben wird.
Aufgegebene Gebäude, die erhaltenswert sind und das Bild der Kulturlandschaft prägen (z. B. alte Schlösser, Mühlen), sind meistens nicht mehr vom Bestandsschutz gedeckt, so dass der Gesetzgeber den Begriff „zulässigerweise errichtet“ in den § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BauGB nicht eingefügt hat.
Wann der Bestandsschutz eines Gebäudes untergeht, haben wir in unserem Baulexikon ausführlich beschrieben (siehe unter -> http://www.kreis-stormarn.de/service/begriffe/index.html?bereich=1&bid=13 ).
Eine 30%-Regelung ist mir – wie gesagt – nur aus einer früheren Rechtsprechung im Zusammenhang mit Erweiterungen bekannt (siehe meinen Beitrag von gestern).
Mehr kann ich Ihnen leider nicht dazu sagen.
Ich denke nach wie vor, dass Frau/Herr Lindemann, die/der das Thema am 31.08.2010 aufgeworfen hatte, einmal bei der zuständigen Bauaufsichtsbehörde nachfragen sollte, wie sie auf die 30% gekommen ist.
Mit freundlichem Gruß
Jens Bebensee
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