Sehr geehrter Herr Stolzenberg,
besten Dank für die aufbauenden Worte...
Ihre Fragen möchte ich wie folgt beantworten:
1) Zur Verfahrensfreiheit privater Verkehrsanlagen
1.1) Vorbemerkung
Private Verkehrsanlagen, die bauliche Anlagen sind (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 LBO) oder als bauliche Anlagen gelten (§ 2 Abs. 1 Satz 3 LBO), sind – im Gegensatz zu öffentlichen Verkehrsanlagen (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 LBO) – (u. a.) dem Bauordnungsrecht unterworfen.
Zu den privaten Verkehrsanlagen gehören neben (nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmeten) Straßen, Wegen und Plätzen auch befestigte oder sonst zum Befahren angelegte Hofflächen, Zufahrten auf privaten Grundstücken zu Garagen oder Stellplätzen sowie Garagenhöfe.
Auch verfahrensfreie private Verkehrsanlagen müssen selbstverständlich die materiellen öffentlich-rechtlichen Vorschriften beachten.
Aus bauordnungsrechtlicher Sicht sind dies beispielsweise die Bestimmungen über die Standsicherheit (§ 13 LBO) und Gestaltung (§ 10 LBO).
Private Verkehrsanlagen dürften in aller Regel auch die Merkmale eines Vorhabens im Sinne des § 29 Abs.1 BauGB erfüllen (siehe unter ->
http://dejure.org/gesetze/BauGB/29.html ) mit der Folge, dass sie die Regelungen der §§ 30 ff. BauGB beachten müssen, wie etwa Festsetzungen eines ggf. bestehenden Bebauungsplans oder die Außenbereichsbestimmungen.
Das Verwaltungsgericht München hat in seinem Urteil vom 20.08.2003 - M 9 K 03.1775 – entschieden, dass ein aus Kies aufgeschütteter 45 m langer und 4 m breiter Privatweg eine bauliche Anlage im Sinne des Bauplanungs- und Bauordnungsrechts ist. Den hiergegen gestellten Antrag auf Berufung hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 04.04.2005 – 1 ZB 04.585 – abgelehnt und darin bestätigt, dass der Kiesweg als Außenbereichsvorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig ist (zit. aus Juris).
1.2) Gibt es eine Größenbegrenzung?
Die Vorschrift selbst enthält keine Größenbegrenzung. Ein Blick auf § 63 Abs. 1 Nr. 13 Buchstabe b LBO verrät, dass zwar die Größe verfahrensfreier notwendiger Stellplätze beschränkt ist, nicht jedoch die Flächen für entsprechende Zufahrten und Fahrgassen (also private Verkehrsanlagen).
1.3) Gibt es Unterschiede bei der Beurteilung Innenbereich / Außenbereich?
Ja, die gibt es: Für den Innenbereich gelten die §§ 30 und 34 BauGB, für den Außenbereich die Bestimmungen des § 35 BauGB.
Für die Herstellung einer privaten Verkehrsanlage im Außenbereich wird wohl eine naturschutzrechtliche Genehmigung erforderlich sein.
2) Fallen Balkone und Dachterrassen unter die Verfahrensfreiheit nach § 63 Abs. 1 Nr. 14 Buchstabe g LBO?
2.1) Vorbemerkung zu § 63 Abs. 1 LBO
Die einzelnen Nummern des Abs. 1 stellen fast ausschließlich baurechtlich weniger bedeutsame Vorhaben verfahrensfrei, die s e l b s t s t ä n d i g (als Einzelvorhaben) ausgeführt werden. Ein selbstständiges Einzelvorhaben darf nicht in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Ausführung eines Gesamtvorhabens stehen.
2.2) Zu § 63 Abs. 1 Nr. 14 Buchstabe g LBO
Die Vorschrift enthält einen Auffangtatbestand für bauliche Anlagen und solche Teile, die in den vorangegangenen Bestimmungen/Nummern des § 63 LBO (noch) nicht enthalten und als unbedeutend anzusehen sind.
In der Sache sind hier u. a. die ehemaligen Nrn. 34, 41 und 42 des § 69 Abs. 1 LBO 2000/2004 aufgenommen (siehe Synopse ->
http://www.kreis-stormarn.de/lvw/forms/5/53/Synopse_LBO_2010_03_26_nd_d_DLRG_SH.pdf auf Seite 148).
Es gibt im Prinzip vier Tatbestände:
a) Errichtung unbedeutender baulicher Anlagen
b) (bauliche) Änderung unbedeutender baulicher Anlagen:
Die bauliche Anlage, die geändert werden soll, darf also auf keinen Fall bedeutend sein. Ist also die Maßnahme als solche zwar unbedeutend, die Anlage selbst aber bedeutend, dann greift diese Vorschrift nicht.
c) Errichtung unbedeutender Teile baulicher Anlagen
d) (bauliche) Änderung unbedeutender Teile baulicher Anlagen:
Hierunter fällt die bauliche Änderung eines unbedeutenden Teils einer baulichen Anlage, gleichgültig, ob die bauliche Änderung als solche bzw. die bauliche Anlage selbst unbedeutend ist oder nicht.
Begriff „unbedeutend“:
Dieser sog. „unbestimmte Rechtsbegriff“ ist eng auszulegen. Man muss in erster Linie darauf abstellen, ob das Vorhaben mit den Zielsetzungen des Bauplanungs- und Bauordnungsrechts in Widerspruch geraten kann.
Beispiele aus der Rechtsprechung:
VG Würzburg, Urt. v. 06.08.2009 – W 5 K 08.1814 – (Juris):
„…Die ausfahrbare „Markise“ ist auch keine Markise i. S. von Art. 57 Abs. 1 Nr. 14 e BayBO. Die elektrisch ausfahrbare Kunststoffüberdachung mit stabilisierenden Querverstrebungen und das sie tragende Gestell bilden baulich und funktional eine Einheit und unterliegen daher einer einheitlichen Betrachtungsweise. Eine Aufteilung in einen beweglichen Teil (mobiles Sonnendach) und einen stationären Teil (Gerüst, Pergola o. ä.) kommt nicht in Betracht. Die so zu betrachtende Anlage ist keine Markise im Sinne der Vorschrift. Bereits nach dem allgemeinen und rechtlichen Sprachverständnis gehört zum Wesen einer Markise ihre weitgehende Beweglichkeit; sie muss „aufrollbar“ sein oder wie ein „Vorhang“ funktionieren. Eine starr im Boden verankerte Konstruktion aus Querträgern und Pfosten, die auch bei aufgerollten Kunststoffbahnen unverändert auf bzw. über der Terrassenfläche stehen bleibt und sichtbar ist, entspricht diesem Begriffsverständnis nicht (OVG Hamburg, U. v. 20.01.2005 -, Az. 2 Bf 283/03)…“
OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 16.03.2000 – 3 M 13/00 – (NordÖR 2000, 429):
„…Genehmigungsfreie „unbedeutende Anlagen“ i. S. von § 65 I Nr. 68 LBauO M-V sind Anlagen, denen die bauplanungsrechtliche oder bauordnungsrechtliche Relevanz fehlt. Diese Voraussetzungen sind bei einer einem Gastronomiebetrieb zugeordneten, gewerbliche genutzten Terrasse grundsätzlich nicht erfüllt…“
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 13.03.1990 – 10 A 1895/88 – (BRS 50 Nr. 149 = BauR 1990, 457) - Leitsätze:
„…1. Eine auf einer grenzständigen Garage errichtete "Dachterrasse" ist baugenehmigungsbedürftig.
2. Eine Garage mit "Dachterrasse" ist keine Grenzgarage im Sinne des § 6 Abs. 11 Nr. 1 BauO NW 1984 (Fortführung der Rechtsprechung des Gerichts im Urteil vom 9.10.1967)…“
Mein Fazit:
Balkone und Dachterrassen fallen grundsätzlich nicht unter die Verfahrensfreiheit nach § 63 Abs. 1 Nr. 14 Buchstabe g LBO.
Mit freundlichem Gruß
Jens Bebensee